• So, 05.05.13

 

Geschichte eines Knopfes

 

Knopf

 

Auf der Gedenkveranstaltung am jüdischen Friedhof Stolberg anlässlich der Reichspogromnacht am 11.11.2012 überreichte eine alte Dame einen silberfarbenen, etwa 5 cm großen Knopf an die Menschen, die diese Veranstaltung vorbereitet hatten. Sie übergab ihn mit den Worten, dass sie ihn lange gehütet habe und sie ihn nun in Hände geben wolle, die sicherlich etwas damit anfangen könnten.

Die Mutter der Dame, die den Knopf am 11.11.2012 weitergab, kaufte im Jahr 1938 im jüdischen Kaufhaus Wolff in Stolberg ein, um ein neues Kostüm zu nähen. Amalie Faber bediente sie dort. Sie holte, als alles zusammengestellt war, eine Knopfkiste unter der Theke hervor und zeigte die Knöpfe, die wohl ihrer schon jung verstorbenen Tochter gehört hatten. So kam dieser Knopf in das Haus der Dame und verbrachte, nach Auftrennung des Kostüms, viele Jahre in der "Knopfkiste".

Drei Schüler der Schülerzeitung KogelStreetNews der Hauptschule Kogelshäuserstraße, die ebenfalls aktiv an der Gedenkveranstaltung teilgenommen hatten, durften ihn mitnehmen. "Macht was daraus!", waren die begleitenden Worte.

So kam der Knopf in unsere Klasse und wurde immer wieder betrachtet und neugierigen MitschülerInnen gezeigt. Die Geschichte hinter dem Knopf faszinierte und eine Gruppe von neun Schülerinnen und Schülern nahm sich der Erforschung an.

Die Dame, die den Knopf so lange Jahre als Schatz verwahrt hatte, schrieb uns seine Geschichte auf. Anschließend begann die Recherche. Wir waren im Stadtarchiv und auf dem Standesamt, haben Kirchenbücher und Bilder durchforstet. Besonders aber auch die Erzählungen und Dokumentationen von Frau Lange-Rehberg, einer sehr engagierten ehemaligen Lehrerin, haben uns sehr weitergeholfen.

Die jüdische Familie Wolff, der das Kaufhaus Wolff in Stolberg gehörte, war sehr großherzig. So wurden dort in den Jahren viele Kommunionkinder kostenlos ausgestattet, deren Eltern sich dies nicht leisten konnten. Durch die Repressalien der Nazis verloren die Wolffs dann ihr Geschäft. Sie flüchteten, versteckten sich in Belgien. Ein Sohn der Familie lebt heute noch in Amerika.

Hubert Faber, von Beruf Kunstmaler, war katholisch. Seine Frau Amalie Faber, geborene Breuer, war jüdischen Glaubens. Gemeinsam hatten sie eine Tochter namens Ruth Agnes. Sie wurde 1909 geboren und war von Beruf Gewerbelehrerin – vermutlich an der Gewerbeschule für berufliche Fortbildung. Außerdem hatte sie ein Textilgeschäft – „Textiles für Mode und Raum“ – in der Zweifaller Straße 72.

In der Nazizeit litten die Fabers sehr. Hubert Faber wurde mehrfach aufgefordert, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Er weigerte sich. Er ist sogar – wohl um sich und seine Frau zu schützen – Mitglied in einer nationalsozialistischen Organisation, der NSV, der Nationalsozialistischen Volksfront geworden. Es folgte die Aufforderung, deren Mitgliedsbuch abzugeben.

Er weigerte sich aber und behauptete, er sei überzeugter Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung. Sein Mitgliedsbuch gebe er jedenfalls nicht freiwillig ab, man müsse es ihm schon persönlich abnehmen. Damit verunsicherte er die Nazibehörden, die das Ehepaar zunächst in Ruhe ließen.
Zu allem kam dann auch noch der Tod der Tochter. Sie starb mit nur 29 Jahren, am 01.02.1938 an einer Streptokokkeninfektion.

Ab 1942 setzten die Nazis das Ehepaar noch stärker unter Druck. So entzogen sie ihnen z.B. die Lebensmittelkarten. Trotz aller Repressalien stand Hubert Faber immer zu seiner jüdischen Frau Amalie. Sie blieben gemeinsam in ihrer Heimat.

Andere jüdische Mitbürger gab es zu der Zeit in Stolberg nicht mehr. Sie waren inzwischen alle ausgewandert, geflohen, versteckt, ermordet.

Hilfe kam für die Fabers von der Kaufmannsfamilie Lude aus der Wiesenstraße. Ludwig Lude war von 1933 bis 1935 der wichtigste Mann des sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Widerstands in der Region. 1935 wurde seine Tätigkeit entdeckt und mit vielen Jahren Zuchthaus bestraft. 1940 entließ man ihn als kranken Mann nach Hause. Hier half er seinen Mitbürgern, die in Not waren in diesen schweren Kriegszeiten. Hubert Faber und Ludwig Lude waren enge Freunde. Am Ende hat er sogar geholfen, Hubert Faber heimlich in seinem Garten zu begraben, da eine Beisetzung auf dem jüdischen Friedhof zu dieser Zeit nicht möglich war.

Sehr lebendig haben wir die Geschichte der Familie Lude von Herrn Reinartz erzählt bekommen. Er ist der Enkel von Ludwig Lude und wir durften ihn sogar mehrfach zu Hause besuchen. Für unseren Film haben wir ihn auch interviewt.

So haben wir vieles über das Leben der Menschen in Stolberg in der Hitlerzeit erfahren. Wir wissen nun von Zwangsarbeiterlagern, von Hunger, Elend und Verfolgung – aber auch von der Liebe, die stärker ist als aller Hass.

Spannend sind auch die Fragen, die sich während unserer Recherche ergeben haben aber unbeantwortet blieben. Beispielsweise ist unbekannt, wo die Tochter der Fabers beigesetzt wurde. Und auch die Bilder von Hubert sind seit den Kriegstagen verschwunden.

Für unsere Dokumentation haben wir nach der Recherche ein Drehbuch geschrieben, viele Fotos gemacht und noch mehr Probeaufnahmen. Es gestaltete sich als recht schwierig, mit unserer Ausrüstung den Film zu erstellen. Aber auch daran sind wir gewachsen und haben viel Neues gelernt. Es ist zwar nicht so professionell geworden, wie wir es uns gewünscht haben, aber dennoch sind wir sehr stolz auf uns, unsere Arbeit und unser Produkt. Besonders schön war die Erfahrung, dass viele sich mit ihrer ganzen Kraft eingebracht haben.

Ein 5 cm großer, silberner Knopf hat uns einen Einblick in eine Zeit ermöglicht, die uns sonst nicht so eindrücklich näher gekommen wäre. Sein materieller Wert ist nicht hoch. Doch der ideelle Wert ist enorm. Wir fühlen uns ihm ein Stück verbunden. Er ist wertvoll für uns. Er hat unseren Verstand und unsere Herzen geöffnet und er ist uns Mahnung, dass so etwas nie wieder geschehen darf.

Das Team der KogelStreetNews der GtHS Kogelshäuserstraße

 

 

 

Die Recherche:


 

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Brief von Frau Flink

 


 

 

 

 

 

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Recherche im Stadtarchiv

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2013KnopfArchiv00

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

Und hier kannst du den Film sehen. Klickt auf diesen Link!

 

 


 

 

Wir sind für unseren Film u. a. ausgezeichnet worden beim Wettbewerb


"Aktiv für Demokratie und Toleranz".


Dazu gab es einen Radiobeitrag mit Interview. Hör mal rein!

 

 


 

 

Post aus Israel!

 

Auf der Suche nach dem Grab der Großmutter einer alten Dame, die damals nach Palästina floh, stieß Dran aus Israel auf unseren Film.

Er kontaktiert uns. Und tatsächlich: Rosa Emanuel wurde auf dem jüdischen Friedhof in Stolberg beigesetzt. Wir haben ein kleines Paket gepackt und u.a. Fotos nach Israel geschickt.

Inzwischen haben wir eine sehr anrührende Antwort bekommen. Demnächst hier mehr!

 

 

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2013BriefIsrael01


 

>>> Hier geht es zur Preisverleihung. Wir machten den 6. Platz beim History Award 2013. <<<